Sehr geehrte Damen und Herren,
gerade erst ist die Corona-Pandemie vorbei. In dieser historischen Krisensituation wurde die zentrale Bedeutung der Kultur über Parteigrenzen betont, und in gemeinsamer Anstrengung aller staatlichen Ebenen ist es auch in Wiesbaden gelungen, weitgehend alle Kulturträger zu erhalten.
Umso beängstigender ist das, was wir jetzt erleben müssen: Die Kulturschaffenden und die von ihnen getragenen Einrichtungen sind einer Achterbahnfahrt ausgesetzt, die sie von der Unterstützung in die absolute Not bringt.
Die Eckpunkte der Kulturentwicklungsplanung, noch 2022 von der STVV einstimmig beschlossen, wurden in der Folge nicht umgesetzt: Eine Dynamisierung von institutionellen Zuschüssen entsprechend der Teuerungsrate und langfristige Perspektiven durch eine mehrjährige Förderzusage durch die Stadt. Die freien Projektmittel sind von einem jährlichen Ansatz von 500.000 € in 2023 auf einen Ansatz von 120.000 € im aktuellen Kämmererentwurf für 2025 gesunken, der nun auf 240.000 € erhöht werden soll.
Der freien Kultur kommt auch deswegen eine zentrale Bedeutung zu, weil die von zivilgesellschaftlichem Engagement getragenen Institutionen und Projekte nicht mehr wieder erstehen werden, wenn sie einmal zum Aufgeben gezwungen wurden. Dazu kommt, dass aus nahezu allen Bereichen neue Erwartungen an die Kultur gerichtet werden. So gibt es z. B. keinen aktuellen Kongress der Stadtentwicklung, an dem die besondere Bedeutung der Kultur nicht hervorgehoben würde.
Wir wollen mit diesem Schreiben noch einmal auf unseren Appell vom 3. September 2024 verweisen, in dem wir Ihnen entscheidende Prioritäten für die Beratungen aufgelistet haben. Dies sind
- die institutionellen Zuschüsse entsprechend den Empfehlungen der vom Magistrat eingesetzten Fachkommissionsempfehlung (siehe dazu die Vorlage: 23-V-41-0011 Institutionelle Förderung Kultur Haushalt 2024-25) um insgesamt 608.950 €, für 2025 zu erhöhen – nicht nur um 487.000 €, wie es zurzeit im Raum steht.
- die freien Projektmittel des Kulturamts um den Fehlbetrag zum eigentlich vorgesehenen Ansatz aus dem Doppelhaushalt 2022/2023, d. h. um weitere 260.000 € auf 500.000 € für 2025 zu erhöhen
- die Instandhaltungsmittel i. H. v. 750.000 € in 2025 für den Kulturbereich wieder zur Verfügung zu stellen.
Es ist für den Kulturbeirat Wiesbaden aber auch nicht vorstellbar, dass die in den Beratungsunterlagen des Kulturhaushalts aufgelisteten „weitere Bedarfe“ nicht finanziert werden. Darunter fallen z.B.
- die Ausstattung des Kunsthauses mit den notwendigen Mitteln, um nach einer fast 10-jährigen Sanierung in den dann wieder verfügbaren Räumen auch Ausstellungen und Veranstaltungen durchführen zu können.
- Mittel für den Buchankauf der Stadtbibliotheken, der seit Jahren stagniert. Mittel für die Wiesbadener Musik- und Kunstschule, um Kindern das Erlernen eines Instruments zu ermöglichen.
- auch ein von allen Fraktionen beschlossener Kulturentwicklungsplan, der den Wunsch aller zum Ausdruck bringt, Wiesbaden als Kulturstadt zu stärken. Er ist wenig wert, wenn seine Fortschreibung und Umsetzung nicht erfolgen kann.
Die aktuelle Entwicklung droht sich von sich von Haushalt zu Haushalt zu verschärfen. Dabei wissen wir alle, dass das Kulturleben einer Stadt heute viele Aufgaben hat, die sich nicht nur in engen Sparten beschreiben lässt. Wir wollen Sie deshalb ermutigen, auch neue Wege der Unterstützung zu suchen.
An die Kultur werden neue und große Erwartungen gestellt: Von Seiten der Wirtschaftsförderung (Stichwort: Innenstadtentwicklung), den Strategen der Stadtteilentwicklung, den Marketingkräften zur Ankurbelung des Tourismus, den Start-ups, die das Kulturleben als Anregungspotential für die Kreativwirtschaft brauchen, den Trägern der sozialen Integration von Menschen in die Stadtgesellschaft und nicht zuletzt den klassischen Instanzen der kulturellen Bildung der nächsten Generation (Stadtbibliothek, Musik- und Kunstschule etc.) Wie soll sie diesem Anspruch gerecht werden, wenn wir den Kulturhaushalt festschreiben und keine Priorität setzen?
Wir begrüßen ausdrücklich die am 28. Oktober kommunizierten Ansätze zur Verbesserung der Situation. Und wir verkennen die Lage des Haushalts nicht. Neue Herausforderungen erfordern neue Lösungen. Die öffentliche Diskussion zeigt uns, dass von der Kultur viel erwartet wird. Wir sehen als Kulturbeirat, dass die Kulturschaffenden bereit sind, diesen Anspruch anzunehmen - wenn die Bedingungen dafür geschaffen werden.
Dr. Helmut Georg Müller
Vorsitzender des Kulturbeirats