Online-Umfrage zur Situation der Altenhilfe unter Pandemiebedingungen (Teil 1)

Ein Beitrag von Dr. Petra Schönemann-Gieck.

Vor dem Hintergrund der nun seit weit über einem Jahr das Leben der meisten Menschen dominierenden Pandemie fand im GeReNet.Wi / Forum Demenz eine Online-Erhebung zur aktuellen Situation der Anbieter Wiesbadener Altenhilfe statt. Die Befragung wurde von der Geschäftsstelle des GeReNet.Wi / Forum Demenz initiiert und dem Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg im Frühjahr 2021 in Auftrag gegeben. Jetzt liegen die Aussagen von 15 stationären Pflegeinrichtungen, sechs ambulante Pflegediensten, 13 Beratungsstellen, einer Tagespflegeeinrichtung und sieben weitere Partnern im Forum Demenz Wiesbaden vor.

Inhaltliche Schwerpunkte in der Befragung der Altenhilfe betrafen

  1. Herausforderungen und besondere Problembereiche in der Pandemie,
  2. Lösungen und Ideen der letzten Monate (Best Practice Beispiele),
  3. die besondere Situation von Menschen mit Demenz in der Pandemie,
  4. die Rolle von Angehörigen in der Pandemie und
  5. Erkenntnisse, Erfahrungen und Wünsche für die Zukunft.

Dieser Beitrag wird sich mit den Herausforderungen und besonderen Problembereichen (Teil A) befassen. Weitere Befunde werden Gegenstand künftiger Beiträge sein.

Allgemeine Schwierigkeiten der Altenhilfeangebote durch die Corona-Pandemie (Spontannennungen)

In einer ersten Frage wurden spontan genannte Schwierigkeiten gefragt. Zum einen betreffen die genannten Problemlagen in der Altenhilfe allgemeine, angebotsunabhängige Themen wie beispielsweise den erhöhten Arbeitsaufwand und verschärfte Arbeitsbelastungen, die der Umsetzung von Hygienemaßnahmen, Kontaktbeschränkungen, Testungen etc. geschuldet sind. Aus diesen Anforderungen ergeben sich ein erhöhter Informations- und Schulungsbedarf des Personals, ein besonderer Informations- und Beratungsbedarf der Pflegepersonen und ihrer Angehörigen – und dies bei teilweise eingeschränkten Personalressourcen und einem Wegfall der Unterstützung durch Ehrenamtliche. Auch finanziell stellt die Pandemie die Anbietenden vor hohe Herausforderungen, da Mehrkosten (für Schutzausrüstungen, Technik, Support etc.) Mindereinnahmen durch den Ausfall von Angeboten gegenüberstehen.

Betrachtet man die verschiedenen Angebotstypen, so lassen sich spezifische Schwierigkeiten je nach Arbeitsweise und Organisationsstruktur feststellen: 

So nennen stationäre Pflegeeinrichtungen v.a. das Besucherverbot, Gruppen- und Veranstaltungsverbote, die Isolation der Bewohner, fehlende Besuche von Hausärzten und extreme Personalbelastungen aufgrund von Kontrollen, Tests, Impfung, Symptombeobachtung – bei hohem Personalausfall als zentrale Problembereiche.

Tagespflegeeinrichtungen waren teilweise komplett geschlossen. Nach der Wiedereröffnung haben sie teilweise mit genervten Gästen Schwierigkeiten, die sie ständig auf die Einhaltung der Richtlinien hinweisen müssen. Gleichwohl konstatiert die Tagespflege, „uns geht es besser als im Pflegeheim, wo die Menschen isoliert sind und das Pflegepersonal die Familien ersetzen muss“.

Ambulante Dienste sehen das häufige Absagen durch Klienten sowie schwierige Planungen aufgrund von Personalausfällen als besondere Herausforderung an.

Beratungsstellen boten zum Zeitpunkt der Erhebung keine Außensprechstunden an und führten Hausbesuche nur im Notfall durch. Dies führte zu Schwierigkeiten bei der richtigen Einschätzung von Lebenslagen und zu Verständigungsproblemen bei telefonischen Erstberatungen. Insgesamt wurde der Austausch im Team vermisst.

Größte Herausforderungen während der Pandemie

Um die Problembereiche noch genauer bewerten zu können, wurden in dieser Frage Kategorien vorgegeben, die durch die Literaturrecherchen ermittelt wurden. Jede Kategorie wurde hinsichtlich ihrer Bedeutung für die pandemiebedingten Schwierigkeiten eingeschätzt.

Dabei stellte sich der Wegfall der Gruppenangebote als größte Herausforderung dar. Vier von fünf Befragten bezeichneten dies als eher oder sogar extrem problematisch. Knapp drei Viertel bezeichnete die Themen Kontaktreduzierung und Einsamkeit als die größten Herausforderungen in ihrer Arbeit, gefolgt von dem Umgang mit Angehörigen. Die Umsetzung der Pflege stellte für die wenigsten Befragten eine Problemsituation dar – ebenso wie der Corona bedingte Personalmangel. Allerdings ist hier relativierend festzuhalten, dass die Befragten aus Pflegefernen Berufen hier ebenso mitgerechnet wurde. Es ist anzunehmen, dass diese Themen in der ambulanten, stationären und Tagespflege deutlich gravierendere Herausforderungen darstellten als beispielsweise im Bereich der Beratung.

Besonders von der Pandemie betroffene Personengruppen

Alleinstehende Personen sind nach Ansicht der meisten Befragten die Personengruppe, die unter der Pandemie am stärksten leidet – insbesondere dann, wenn keine Angehörige vor Ort Unterstützung leisten können. Verschärft wird deren Situation noch, wenn eine demenzielle Erkrankung vorliegt und/oder wenn die Person auf Unterstützung angewiesen ist. Im betreuten Wohnen ist diese Personengruppe häufig vertreten. Doch nicht nur alleinstehende ältere Menschen leiden unter den Corona bedingten Maßnahmen besonders – auch vielen alleinstehende ehrenamtliche Betreuerinnen fehlen ihre regelmäßigen Einsätze sehr. Die soziale Isolation hat negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. So wurde bei einigen Personen ein verstärkter Alkoholkonsum beobachtet.

Pflegende Angehörige sind ebenfalls eine besonders belastete Gruppe. Häusliche Pflegesituationen litten v.a. durch die Schließung von Entlastungsangeboten wie Tagespflege, Betreuungsgruppen, Kurzzeitpflege. In vielen Fällen waren die pflegenden Angehörigen so ganz auf sich allein gestellt. Aus Angst vor Ansteckung nahmen einige nicht einmal Hilfen von ambulanten Pflegediensten in Anspruch. Zudem litt diese Personengruppe besonders unter dem eingeschränkten Besuchsrecht in stationären Pflegeeinrichtungen und Kliniken.

Menschen mit kognitiven Einschränkungen litten ebenso in besonderem Maße unter den Auswirkungen der Pandemie. Angebote zur Unterstützung im Alltag und zur Förderung der Alltagskompetenzen waren und sind nur eingeschränkt verfügbar. Die fehlenden Impulse führen in dieser Personengruppe oft zu einem beschleunigten Abbau funktioneller und kognitiver Fähigkeiten. Auch ist es kognitiv beeinträchtigten Menschen meist schwer oder gar nicht möglich, die für sie ungewohnte Situation, den veränderten Tagesrhythmus durch fehlende Angebote und fehlende Besuche zu verstehen. Vielfach fehlt daher das Verständnis für Regelungen und Einschränkungen und die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen wird nicht eingesehen. Dies führt oft zu Irritationen, abwehrenden oder sogar aggressiven Verhaltensweisen. Ein Beziehungsaufbau durch körperliche Berührungen und Nähe ist nicht möglich, was es schwierig macht, die Betroffenen zu beruhigen und zu trösten.

Ein genanntes Beispiel erläutert die Perspektive von demenziell erkrankten Menschen besonders plastisch: „Eine Frau [war] vor der Pandemie zweimal die Woche in der Tagespflegeeinrichtung. Nach eingeschränkter Öffnung kam sie mit den Regeln nicht [mehr] zurecht. Die mögen mich nicht mehr, ich muss alleine sitzen, da gehe ich nicht mehr hin!“

In den kommenden Beiträgen werden in der Online-Umfrage dargestellte Lösungen und Ideen zur Überwindung der aufgeführten Schwierigkeiten und Herausforderungen dargelegt.

Erläuterungen und Hinweise

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