Interview mit Angelika Wust

Angelika Wust ist Referentin und Coach und engagiert sich seit vielen Jahren im Forum Demenz Wiesbaden.

Die Fragen stellte Reiner Wissel, Koordinierungsstelle Wendepunkt Demenz in Nieder-Olm, für das Netzwerk-Demenz Mainz-Bingen.

Wir danken dem Netzwerk Mainz-Bingen für die freundliche Erlaubnis, das Gespräch an dieser Stelle zu veröffentlichen.

Wir kennen uns schon viele Jahre, regelmäßig bist Du Referentin in unserer Schulungsreihe „KOMM!pass Demenz“ für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Dein Schwerpunkt ist „Umgang und Kommunikation mit Menschen mit Demenz“. Das klingt zunächst komisch, denn kann man mit Menschen mit Demenz nicht genauso sprechen wie mit jedem anderen Menschen auch?
"Doch, Du kannst mit Menschen mit Demenz sprechen wie mit anderen Menschen auch, wenn Deine Kommunikation von echter Wertschätzung und Respekt vor dem Gesagten des Gegenübers und von Anerkennung geleitet wird sowie – und das ist wirklich wichtig – auch von Authentizität. Denn Menschen mit Demenz verstehen manchmal die Worte und die Inhalte nicht, sehr wohl aber das Gefühl, das damit transportiert wird. Deshalb kann man schon die normalen personenzentrierten Kommunikationsformen anlegen, aber im Hinterkopf behaltend, dass manche Inhalte nicht mehr ankommen können."


Welche konkreten, einfachen Tipps kannst Du den Angehörigen und Betreuungskräften für die Kommunikation geben?
"Ich würde zuerst einmal empfehlen, dass man die Rahmenbedingungen beachtet, dass man nicht das Fernsehen anhat, das Radio plärrt, denn wir müssen uns ja immer wieder vergegenwärtigen, dass Gedächtnisstörungen vorliegen. Kurzzeit-, Langzeitgedächtnis, Orientierungsstörungen, also Kompetenzen, die Menschen mit Demenz nicht mehr haben, von daher sollten wir es ihnen so einfach wie möglich machen. Respekt, Wertschätzung habe ich schon erwähnt. Einfache kurze Sätze sind wichtig. Sich auch selbst überprüfen, wie es einem selbst geht, kann ich mich auf den anderen einstellen, zwei- dreimal tief durchatmen, sich zentrieren, heißt es in der Validation. Mit Humor arbeiten, aber auch das Gesagte ernst nehmen, auf das eingehen, was Menschen mit Demenz an Themen vorgeben. Wenn möglich auch auf die Gefühlslage des Betroffenen, denn da erreichen wir den Kranken."


Welche Wirkung hätte eine solche gelingende Kommunikation in der Beziehung?
"Für den Menschen mit Demenz: er fühlt sich als Person, hat eine Rolle, die ernst genommen wird, bekommt Anerkennung und Wertschätzung, und das führt natürlich zur Entspanntheit und Gelöstheit, und auch zu Vertrauen. Letztlich für die Pflegebeziehung mit dem Angehörigen, Betreuer und wem auch immer, ist es eine schönere Begegnung und das heißt auch stressfreier."


Was können denn Angehörige von Menschen mit Demenz denn auch für sich tun, damit sie die Pflege und Betreuung für Menschen mit Demenz bewältigen können?
"Da sprichst Du ein sehr wichtiges Thema an, dem zu Pflegendem, dem Menschen mit Demenz kann es nur so gut gehen wie dem, der pflegt und betreut. Von daher ist der Pflegende ganz wichtig, der sollte, und das findet leider nicht so häufig statt, Beratungsangebote annehmen, wie ihr sie im Netzwerk-Demenz Mainz-Bingen oder im Pflegestützpunkt anbietet. Selbsthilfegruppe sind sehr gut, Kurs mitmachen, um zu erfahren, was macht Demenz im Alltag mit meinem zu Betreuenden, mit meinem zu Pflegenden. Die vielen Entlastungsangebote, die die Pflegeversicherung mittlerweile unterstützt, annehmen wie Tagespflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, die für die Entlastung des Angehörigen sorgen können. Aber leider ganz oft nicht wahrgenommen werden, weil die Menschen häufig zu den Einrichtungen kein Vertrauen haben. Und da möchte ich eine Lanze brechen für die stationären Einrichtungen, gehen Sie in die Häuser, schauen Sie sich die Häuser an und es gibt viele Senioren- und Pflegeheime, die wirklich gute Konzept haben für Menschen mit Demenz, und eine gute Pflege und Betreuung gewährleisten. Und manchmal ist es viel besser, wenn jemand in einer Senioreneinrichtung lebt und man als Angehöriger entspannt hinkommen kann, als wenn man sich zuhause tagtäglich quält und selber krank wird."


Das wäre ja eine Möglichkeit. Was kannst Du den Angehörigen raten, wenn es zu sehr großen Spannungen und Konflikten kommt, Hin- und Weglauftendenz, Unruhe, Aggression, das sind ja oft die schwierigen Themen, die zuhause auftreten?
"Immer wieder sich selbst reflektieren, sich mit anderen austauschen, auch in Beratungsgesprächen, und sich fragen, kann ich und möchte ich die Pflege gewährleisten. Das ist das eine, das zweite ist der Umgang mit Konfliktsituationen, wie wende ich Gesprächstechniken im Umgang mit Menschen mit Demenz an. Das lernt man in Kursen ganz gut, und kann das auch weiter vertiefen. In Selbsthilfegruppen ist das auch häufig ein Gesprächsthema. Und ich weiß aus eigener Erfahrung und ich mache schon seit vielen Jahren Kurse für pflegende Angehörige, dass es sehr findige, kreative Angehörige gibt, von denen man viel lernen kann. Man muss aber auch erkennen, wann es vielleicht Zeit ist sich von der Pflege zu lösen. Man kann zuerst einen Pflegedienst einsetzen, Betreuungsdienste, und Schritt für Schritt Entlastung in den Alltag integrieren, Haushaltshilfen usw. Medikamentengabe an einen Dienst abgeben. Immer zuerst schauen, wo sind die Konfliktpunkte in der Betreuung und Pflege und dann diese Konfliktpunkte abgeben, das kann z.B. das morgendliche Waschen sein, das Anziehen, so kann man sich Schritt für Schritt Entlastung über die Pflegeversicherung einkaufen."


In unserer Gesellschaft ist der Wert der Selbstbestimmung sehr hoch angesetzt. Wie ist das bei Menschen mit Demenz, die aufgrund einer kognitiven Einschränkung, der Vergesslichkeit, Verlust an logischem Denken oder der Planbarkeit des Alltags nicht ausreichend gut für sich selbst sorgen können? Wie kann man ihre Selbstständigkeit erhalten oder fördern?
"Der Strukturgeber für den Alltag ist meist der pflegende Angehörige oder Betreuende. Die in diesen Alltag so viel Normalität wie nur irgend geht hineinlegen sollten, Freiheiten geben, Lebensrisiken zulassen, und das entsprechend der Biographie. Meisten gibt es da keine besseren Experten als die pflegenden Angehörigen, meistens sind es ja die Ehefrau, Ehemann, Tochter, Sohn, die ja die Biographie ganz gut kennen. Sie wissen, ob mein Angehöriger jemand ist, der mutig im Leben war oder eher ängstlich. Darauf Rücksicht nehmend ist der Alltag zu strukturieren."


Wie siehst du den gesellschaftlichen Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, was können wir da für Menschen mit Demenz tun?
"Da kommen natürlich die Netzwerke, wie z.B. Euer Netzwerk, das Netzwerk-Demenz Mainz-Bingen mit ins Spiel, das dafür sorgt, dass Angebote breit gestreut werden, Anbieter sich zusammenschließen, so dass möglichst viele Menschen, sich mit der Erkrankung auskennen lernen, Entlastungsangebote erhalten, Personen mit Demenz teilhaben können am gesellschaftlichen Leben. Dass es auch dazu Angebote gibt, wie Kunstführungen im Museum oder Sport, Bewegung usw., Teilhabe fördern und Begegnungen schaffen, Nachbarschaft gestalten, so würde ich das zusammenfassen. Das bedeutet für Menschen mit Demenz, dass sie trotz ihrer Erkrankung, möglichst lange in der Kommune ein Leben führen können, dort wo sie auch beteiligt sind. Und das sehe ich auch als eine kommunale Aufgabe, wir Ihr das auch schon macht.
Wir haben in Nieder-Olm das Projekt der demenzfreundlichen Verbandsgemeinde und dort versuchen wir das in kleineren Aktionen durchzuführen.
In Wiesbaden haben wir das Forum Demenz, das ähnliche Aufgaben wahrnimmt wie Ihr, in dem wir Angebote für Fachkräfte und für die Betroffenen selbst aber auch für die Angehörigen anbieten, und alle die Menschen, die etwas zum Thema zu sagen haben, zusammenführen. Das finde ich eine ganz wichtige Aufgabe, das Thema in die Gesellschaft zu bringen, immer mehr Menschen dafür zu sensibilisieren, so dass Menschen mit Demenz nicht ausgeschlossen sind, sondern integriert werden können in die Gesellschaft."


Für viele Menschen ist ja Demenz ein Schreckgespenst, wie siehst Du das mit Deiner Berufserfahrung?
"Diese Krankheit ist ohne Frage eine, die den Menschen sehr viel Furcht bereitet. Das sieht man nicht zuletzt daran, wie viel Präventionsprogramme es gibt und was das für ein riesiger Markt geworden ist, Präventivmaßnahmen, die alle helfen sollen gegen Demenz. Es gibt sicher auch viel Sinnvolles dabei, oft aber Dinge, mit denen Geld verdient werden kann, die am Ende das Tages aber nicht so viel bringen. Wir alle können dafür sorgen, dass wir gesund alt werden, sich ordentlich bewegen, ernähren, intergenerativ beschäftigen, geistig fit halten. Die Gesellschaft so aufbauen, dass auch Menschen, die kognitiv nicht mehr fit sind, mitgenommen werden und mitten in der Gesellschaft leben können. Die Krankheit wird es weiterhin geben, wie viele andere Krankheiten auch. Demenz ist nicht therapierbar, und je besser wir alle damit umgehen können, desto weniger Schrecken wird sie verbreiten und desto besser können die erkrankten Menschen auch die Scham überwinden. Auch die Angehörigen übrigens, weil ihre Menschen mit Demenz sich anders verhalten, den normativen Werten nicht mehr entsprechen. Von daher ist das eine zentrale Aufgabe, Aufklärung und Informationen in den Kommunen und Städten anzubieten."


In diesem Zusammenhang spielt sicher der Humor, Freude, Lachen auch eine große Rolle, um das Schreckgespenst ein bisschen abzumildern?
"Genau, ich habe ja früher häufig Seniorenurlaube organisiert und mitgemacht, wir hatten oft sehr, sehr viel Spaß, denn manchmal machen Menschen mit Demenz einfach komische Dinge und wenn man sie so nehmen kann, wie sie sind, ist es häufig möglich, miteinander auch ins Lachen zu kommen. Nicht über den Menschen, sondern mit dem Menschen gemeinsam. Das entspannt alle, die daran beteiligt sind. Von daher, wenn man das kann, ist das sehr hilfreich, diese Verhaltensweise mit Humor zu betrachten, man kann es vielleicht auch ein bisschen üben, aber es ist nicht jedem gegeben. Fehlhandlungen, die manchmal stattfinden, wenn man eine Frage stellt, und eine ganz andere Antwort bekommt, und man merkt, die Menschen sind in ihrer Welt jetzt ganz woanders, habe ich oft in den Urlauben erlebt, mit Humor haben wir erreicht, dass wir uns alle wohl gefühlt haben."


Wenn man sich in Menschen mit Demenz hineinversetzen könnte, was ja vielen von uns schwerfällt, ist die Vorstellung möglich, dass Menschen mit Demenz zufrieden sein können, kann man mit Demenz zufrieden sein und auch ein gutes Leben führen, ist das überhaupt realistisch?
"Unbedingt, würde ich sagen, wenn das Umfeld so strukturiert ist, dass Menschen mit Demenz Selbstständigkeit und Selbstbestimmung erfahren, und so selbstbestimmt wie möglich leben können, trotz der eigenen Einschränkungen sich sicher und geborgen fühlen, dann können sie sicherlich ein sehr zufriedenes Leben führen. Ich kenne auch einige Menschen mit Demenz, die das tun. Wenn Angehörige das schaffen, die Krankheit zu akzeptieren, für sich selbst gut zu sorgen, dann können beide Seiten ein gutes Leben führen. Wenn wir dem Menschen mit Demenz so viel Anerkennung wie möglich geben, und positive Emotionen im Alltag fördern, dann kann es gelingen, ein gutes und sicheres Leben mit dem Betreuten und dem Betreuenden zu bestreiten."


Angelika Wust, ich danke Dir für das Gespräch.

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  • privat, Angelika Wust